Wenn der Vater mit den Söhnen
Als Alleinerziehender zählt Armin Stadelmann zu einer Minderheit. Vorurteile und Einschränkungen gehören für den Teilzeitlehrer zum Alltag.

Warum sind die Kinder nicht bei der Mutter? Diese Frage hört Armin Stadelmann (43) ständig – wenn die Leute realisieren, dass er nicht nur ein engagierter Vater ist, sondern «alles macht», wie er sagt. «Weil ich der Vater bin», antwortet er dann. Was er damit sagen will: Kinder haben zwei Elternteile. Meine Kinder leben seit vier Jahren bei mir. Punkt.
Nach einer schwierigen Trennung wurde die Obhut zunächst der Mutter zugesprochen, Matteo (13) und Aaron (8) lebten acht Monate lang bei ihr. Doch das Zusammenleben war problematisch; Armin Stadelmann kann und will sich dazu nicht näher äussern. Die Kinder zogen zum Vater nach Luzern. Anfangs arbeitete er noch Vollzeit als Lehrer, doch schon bald war klar, dass er sein Pensum reduzieren musste, um für seine Söhne da sein und den Alltag packen zu können.
Dieser Alltag ist klar strukturiert: Muss Sohn Matteo eine Prüfung ablegen, steht Armin Stadelmann bereits um 5.30 Uhr statt um 6.30 Uhr auf und geht den Schulstoff nochmals gemeinsam mit ihm durch. «Die Bestätigung: ‹Ja, ich kanns› gibt Matteo die Zuversicht, die er braucht», sagt der Vater. Dann frühstückt die Familie, die Kinder gehen zur Schule, Armin Stadelmann nimmt den Bus zur Arbeit.
Wenn er Fünft- und Sechstklässlern Französisch beibringt und die Computerprobleme an der Schule behebt, muss zu Hause alles warten. «Dann reicht es nur fürs Nötigste: Kochen, Hausaufgaben, Gespräche.» An den übrigen Tagen hat er Zeit, um seine Lektionen vorzubereiten, einzukaufen, zu waschen. Aufräumen und Putzen liegen oft nicht drin. Besuchern ist der Zutritt zur Küche während dieser Zeit verwehrt. «Vieles bleibt liegen, bis wir Ferien haben», sagt Stadelmann.
Richtige Männergespräche
Matteo sitzt auf dem Boden im Kinderzimmer, das er mit Aaron teilt. «Unter Männern ist es halt eher chaotisch», sagt er, «aber für uns ist das normal so.» Besonders lässig finde er, dass sein Papa ihm vertraue, sich nicht allzu viele Sorgen machte: «Freiraum haben, das finde ich gut. Ich nutze es auch nicht aus.» Der Papa sei wohl strenger als die Mama, «aber immer aus guten Gründen». Mit ihm könne er auch Spass haben – «der Papa macht mit». Und manchmal hätten sie richtige Männerdiskussionen, beispielsweise über Fussball.

«Papa hat eine Glacemaschine, eine Fritteuse und kocht fein», sagt Aaron. Wenn er nicht daheim spielt, besucht er den Nachbarsjungen im zweiten Stock oder zieht sich mit ihm ins selbstgebaute Baumhaus im Garten zurück. Dort brechen sie Haselnüsse auf oder schwingen sich am Seil vom Baum. Aaron hilft gern bei der Hausarbeit mit: Er trocknet das Geschirr, kocht Spaghetti. Oder er putzt – am liebsten mit dem Staubsauger. Den nimmt er auch zur Hand, um die Frühstückskrümel vom Tisch zu kriegen. Beide Kinder packen im Haushalt mit an: Matteo säubert den Tisch vor dem Mittagessen mit einem Lappen und macht Sirup, Aaron deckt auf und mischt die Sauce unter den Salat.
Armin Stadelmann bereitet Pommes frites und Chicken Nuggets zu. Matteo und Aaron greifen herzhaft zu und bereden, wie sie den freien Nachmittag verbringen könnten. Plötzlich fällt Aaron vom Stuhl – Vater und Bruder lachen. Als die Tränen nicht versiegen, nimmt Armin Stadelmann Aaron in den Arm und untersucht sein Auge eingehend. «Alles okay», sagt er. «Möchtest du dich ein wenig im Zimmer ausruhen?» Aaron nickt und verschwindet. «Jetzt bitte nicht foppen. Aaron ist gerade empfindlich», ermahnt der Vater den grossen Bruder.
«Wir sind Staatssklaven»
Bei einem Kaffee erzählt Armin Stadelmann, welchen Vorurteilen er als Alleinerziehender begegnet. «Die Leute denken, Väter zeigten kein Mitgefühl und seien zu wenig zärtlich. Dabei sprechen ebenso viele Gründe dafür, dass Frauen nicht Lastwagen fahren sollten, wie dafür, dass Männer keine Kinder erziehen sollten – nämlich keine.»
Armin Stadelmann liebt seinen Job als Lehrer, er mag seine Schülerinnen und Schüler, ihre Ideen, ihre Fragen, ihre Offenheit. Und er liebt es, Vater zu sein. Es sei nicht die Doppelbelastung, die ihm zu schaffen mache.
Das Gericht habe beschlossen, dass er sein 55-Prozent-Pensum aufstocken muss, damit er seine schwerkranke Exfrau finanziell unterstützen kann. «Das Gericht entscheidet, wie viel ich als Alleinerziehender arbeiten muss, wie viel vom selber verdienten Geld ich für uns brauchen darf, dass wir als Familie keine Ferien machen können», sagt Stadelmann. So müsse der Staat seinem Sozialauftrag nicht nachgehen, stattdessen führe er seine Familie aktiv in die Armut. «Meine Söhne und ich sind moderne Staatssklaven.» Ob man das auch einer alleinerziehenden Frau zumuten würde, bezweifelt er.
Leben am Existenzminimum
Nach einem komplizierten Trennungs- und Scheidungsprozess und einem aufreibenden Unterhaltsverfahren wird Stadelmann nun im Auftrag seiner Exfrau von einer Inkassofirma betrieben. «Bei uns gibt es nichts zu holen», sagt er. Die Familie lebt am Existenzminimum. Ein Besuch im Hallenbad oder ein Fussballkurs liegt nicht drin.
Obwohl die Beziehung belastet ist, bemüht sich das Expaar, am selben Strick zu ziehen, wenn es um die Kinder geht. «Matteo und Aaron wissen, dass ihre Eltern sich mühsam und blöd finden, aber dass sie sich zusammenraufen, wenn es um sie geht», sagt Stadelmann. Die Eltern teilen sich das Sorgerecht, die Obhut hat der Vater. Finden Schulgespräche statt, nehmen beide teil. Matteo und Aaron sehen ihre Mutter oft am Mittwochnachmittag und möglichst jedes zweite Wochenende. «Manchmal vermisse ich sie», sagt Aaron. «Und manchmal habe ich keine Lust, sie zu besuchen.»
Nur jeder 20. Vater hat die Obhut
Armin Stadelmann ist als allein erziehender Vater ein Exot. Laut Statistik des Bundes liegt die Obhut nur bei fünf Prozent aller Fälle beim Vater. «Die Haltung, Kinder gehörten zur Mutter, ist tief in uns verankert», sagt Oliver Hunziker (51), Präsident des Vereins für elterliche Verantwortung Schweiz. Der Verein setze sich dafür ein, dass die Elternteile sich möglichst gleichberechtigt um die Kinder kümmerten. «Vätern, die die Obhut anstreben, wird oft unterstellt, sie wollten bloss nicht zahlen – dabei möchten viele Männer ganz einfach auch Vater sein.»
An diesem sonnigen, aber windigen Herbsttag spazieren Armin Stadelmann, Matteo und Aaron die Luzerner Stadtmauer entlang, steigen Türme hoch, geniessen die Aussicht. Die Bise fegt, und die Kinder frösteln, weil sie ihre Jacken zu Hause gelassen haben. Der Vater gibt Matteo seine Fleecejacke, dann bekommt Aaron seine Strickjacke. Ihm bleibt das T-Shirt.
Bilder: Herbert Zimmermann
Rolf Wick
Rolf Wick
06.04.2018Wie viel auf den Schultern lasstet weiss jeder AE. Auch ich bin mit meinen 2 Jungs seit 7 Jahren alleine. 100% und das Hobby Haushalt, Küche und Erziehung rauben viel Kraft. Ferien sind Räume für Erholung und das aufRäumen :-)
Man muss die Augen ab und zu schliessen, das liegen lassen was schon gelegen hat, mit den Kids reissaus nehmen und etwas anstellen, bei dem wir drei alle wieder Kinder sind. Woher die Kraft kommt: einfach morgens aufstehen und weitermachen...
Margrit von Allmen
Margrit von Allmen
06.04.2018Leder stelle ich immer wieder fest, wie Alleinerziehende sich gegenseitig bekämpfen, wer jetzt in der grösseren Opferrolle ist. Tatsache ich doch, dass wir alle im selben Boot sind.
Schliesst euch den guten Initiativen an. Hier ein paar Beispiele:
www.svamv.ch
www.alleinerziehende-luzern.ch
www.eifam.ch
Gerade für dich in Luzern gibt es ja eine ganz tolle Gemeinschaft der Alleinerziehenden, die sehr aktiv sind. Man kann doch nicht alles dem Staat überwälzen und nur die Anspruchshaltung vertreten oder sein Leid jammern.
@Migros-Magazin. Die Medien kümmern sich aktuell sehr stark darum, was im Bereich der Alleinerziehenden nicht gut läuft. Hängt das mit den Protesten zusammen, die von Männergruppen kommen bezüglich Unterhaltsrecht?
Zeigt doch bitte auch die guten Initiativen auf, wie zum Beispiel die Vereine für Alleinerziehende. Bestes Beispiel dazu der Verein in Luzern. Die leisten jeden Tag grossartige Arbeit ehrenamtlich und beseitigen ganz still viele Probleme...
Alexandra Winkler
Alexandra Winkler
06.04.2018Einer alleinerziehenden Mutter wird weitaus mehr zugemutet. Ich muss 100% (42h die Woche)arbeiten, Haushalt und Kinder versorgen und am Ende des Tages haben wir weniger als Sozialhilfebezüger. Der Staat bestimmt den Takt und tanzen zu dieser Musik - er nimmt bis nichts mehr übrig bleibt. Ich hoffe damit ist die Frage beantwortet und die Zweifel ausgeräumt.
Christina Wildburger
Christina Wildburger
06.04.2018Eieiei Sie haben wohl nicht verstanden um was es in diesem Artikel geht. Es geht um sie weit aus schlechter gestellten alleinerziehenden Väter. Ich bin ae Mutter, arbeite auch voll und habe keinerlei Unterhalt vom Vater ich weiss wie schwer es ist. Zudem muss ich sagen es ist echt nicht fair wie sich viele ae Mütter benehmen immer nur geld wollen sie richtiges Vaterbashing.... ein ae Vater hat es noch 3 Mal schwerer. Hören Sie auf die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen sie armes alleinerziehendes Mami und geniessen Sie lieber einfach die Zeit mit ihren Kindern.
Linda Vonlanthen
Linda Vonlanthen
06.04.2018Hut ab vor Ihrer Leistung! Keine Ahnung, wie man sowas bewältigen kann. Weiter so.
Evelin Camponovo
Evelin Camponovo
06.04.2018Ja, der Staat mutet es auch alleinerziehenden Müttern zu, Vollzeit zu arbeiten. Trotzdem arbeite ich sehr gerne, aber es geht immer zu Lasten meines Kindes, was ich versuche auszugleichen, indem ich wenig schlafe und noch nachts nacharbeite.
Katrin Klaus
Katrin Klaus
06.04.2018Ich bin mir nicht sicher, ob es eine Rolle spielt ob Vater oder Mutter alleinerziehend sind. Tatsache ist und bleibt, das alles an derjenigen Person hängen bleibt, die die Obhut hat.
Und ich als Frau muss auch sagen, ich beobachte, dass gewisse Dinge egal ob kantonal oder von Fall zu Fall sehr unterschiedlich gehandhabt werden, und es wirklich Frauen gibt, die meinen immer noch mehr vom Vater fordern zu können.
Die absolut nicht bereit sind ihre Komfortzone zu verlassen und dies manchmal sogar zu ungunsten von „ neuen“ Familien.
Aber es ist so, dass es in der Schweiz nicht einfach ist alleinerziehend zu sein und ich oft auch das Gefühl habe, dass diese Form der Kindererziehung schlichtweg auch nicht erwünscht ist!
Es fehlt an allen Ecken und Enden an Kinderbetreuungsangeboten, gerade wenn man ländlicher wohnt. Da ist es zudem auch oft noch verpönter, keine intakte Familie zu haben.
Und der Staat verlangt, den Unterhalt selbst zu finanzieren, andererseits ist es ihm egal, was mit den Kindern während den Arbeitszeiten geschieht und ob Betreuung überhaupt finanziert werden kann.
Ich glaube, es ist total egal, welchem Geschlecht man angehört, sondern es ist einfach eine Tatsache, dass unser Sozialstaat in vielen Fällen eben nicht greift, sondern ift sogar im Gegenteil, wirklich die Armut und somit das Abdrücken an den Gesellschaftsrand fördert.
Doch finde ich, ist es auch eine Gesellschaftliche Frage, wie das Thema angeschaut wird. Und Hilfestellung auch von aussen ist ja oft nicht vorhanden.
Um so schlimmer finde ich, dass hier auf alleinerziehenden „herumgehackt“ wird, egal ob Frau oder Mann, leisten wir viel und grosses.
Und es ist nicht allen Alleinerziehenden gegönnt, Alimente in Höhe von Mindestlöhnen oder gar höher zu erhalten und zudem ein funktionierendes Familiengefüge zur Verfügung zu haben!