Alle zwei Jahre werden in den USA das Parlament und viele Gouverneure neugewählt, das nächste Mal am 6. November. Der Präsident steht hingegen erst 2020 wieder zur Wahl. Unter normalen Umständen hält sich das Interesse für die Midterms, die Zwischenwahlen, in engen Grenzen – auch die Wahlbeteiligung ist in der Regel deutlich niedriger als bei Präsidentschaftswahlen. Aber seit der New Yorker Immobilien-Tycoon Donald Trump (72) entgegen den Erwartungen fast aller Prognostiker 2016 Hillary Clinton schlug und US-Präsident wurde, sind die Umstände nicht mehr normal.
Sein unkonventioneller Stil und seine offenherzig-rabiate Persönlichkeit polarisieren dabei noch fast mehr als seine Politik. Auf der einen Seite hat er begeisterte Fans, die ihm – so scheint es manchmal – fast alles verzeihen würden. Auf der anderen wird er mit ähnlicher Inbrunst zutiefst verachtet. Zudem haben die Republikaner 2016 nicht nur die Präsidentschaft erobert, sondern stellen auch die Mehrheit im Repräsentantenhaus und im Senat, den beiden Parlamentskammern, vergleichbar mit dem National- und Ständerat in der Schweiz.
Würden die Demokraten am 6. November zumindest das Repräsentantenhaus zurückerobern, wozu sie laut aktuellen Prognosen Chancen haben, könnten sie Donald Trumps Politik in vielen Bereichen blockieren oder zumindest abfedern. Noch effektiver könnten sie das, wenn sie auch die Mehrheit im Senat erringen würden, was nicht unmöglich, aber wenig wahrscheinlich ist.
Denn während im Repräsentantenhaus immer sämtliche 435 Sitze zur Wahl stehen, sind es im Senat jeweils nur ein Drittel der 100 Sitze. Dieses Jahr müssen die Demokraten 26 davon verteidigen, die Republikaner nur neun. Für eine Mehrheit müssten die Demokraten nicht nur alle bisherigen Sitze halten, sondern zwei zusätzliche erobern.
Sollte es den Demokraten wider Erwarten gelingen, beide Kammern zu erobern, worauf sie gemeinsam mit allen Trump-Gegnern hoffen, wäre das ein starkes Signal an die Republikanische Partei für die Präsidentschaftswahlen 2020. Sie müssten sich dann ernsthaft fragen, ob sie nochmals mit Donald Trump in den Wahlkampf ziehen wollen, angesichts der enorm erfolgreichen Mobilisierung seiner Gegner. Umgekehrt wäre es eine triumphale Bestätigung von Trumps Politik und Person, falls es die Republikaner schaffen, die Mehrheit in beiden Kammern zu halten.
Zwar spielt bei den Zwischenwahlen traditionell die Lokalpolitik eine wichtige Rolle, werden die Parlamentarierinnen und Parlamentarier doch in den einzelnen Bundesstaaten und Wahldistrikten auch aufgrund ihrer Arbeit vor Ort gewählt. Aber dieses Jahr zeichnet sich ab, dass insbesondere die Gegner des Präsidenten an der Urne ein Zeichen setzen wollen. Was immer am 6. November herauskommt, am Tag danach startet der Kampf um die Präsidentschaftswahl 2020, die die USA (und die Welt) rekordverdächtig lange zwei Jahre in Atem halten wird.
5 Fragen an Expertinnen und Experten
Wie wichtig sind die Midterms aus Ihrer Sicht?
Jessica Gienow-Hecht (53), Leiterin der Abteilung Geschichte am
John-F.-Kennedy-Institut
für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin
«Kongresswahlen sind für inneramerikanische Belange wichtiger als Präsidentschaftswahlen (trotz unterschiedlicher internationaler Medienaufmerksamkeit), denn im Parlament wird echte Politik gemacht: Gesetze werden verabschiedet, Geld wird verteilt. Die kommenden Wahlen zeigen, unter welchen Konditionen Donald Trump weiterregieren wird, sie entscheiden auch über seine politische Zukunft.»
Walter Niederberger (64), USA-Korrespondent des «Tages-Anzeigers» seit 2002 sowie Autor des Buchs
«Trumpland – Porträt einer gespaltenen Nation»
(2016)
«Diese Wahlen sind das erste Vertrauens- oder Misstrauensvotum für Donald Trump. Der Aufruhr um die Wahl des neuen Bundesrichters Brett Kavanaugh hat das Land noch weiter gespalten, und Trump hat diese Polarisierung geschickt und völlig schamlos ausgenutzt. So hofft er, zusätzliche republikanische Stimmen mobilisieren zu können und die knappe Mehrheit im Senat zu festigen. Dies würde seine Position massiv stärken, weil der Senat alle wichtigen Personalentscheide des Präsidenten bestätigen muss. Auf der anderen Seite geben diese Wahlen den Bürgern die erste Chance, dem Autokraten im Weissen Haus Grenzen zu setzen, indem sie seine Opposition im Parlament stärken.»
Laura Messenger (57), Vorsitzende des Genfer Verbands der
Democrats Abroad Schweiz
«Dies ist die wichtigste Wahl unseres Lebens. Die Demokratie selbst steht auf dem Spiel, es ist entscheidend, dass möglichst viele Menschen wählen, um sie zu schützen. Die US-Regierung beruht auf einem fein austarierten System, doch die aktuelle Administration scheint alles zu versuchen, dieses System zu zerstören, mit dem Ziel, eine Oligarchie oder Schlimmeres zu errichten. Derzeit regiert sie für das Wohl einiger Weniger und nicht für das Wohl von Allen – und dies in einem Mass, wie wir es zuvor noch nie erlebt haben. Eine Mehrheit der Demokraten in einer der beiden Parlamentskammern würde diesen Prozess verlangsamen oder stoppen.»
Martin Naville (59), Direktor der
SchweizerischAmerikanischen Handelskammer
«Es sind Schlüsselwahlen für die kurz- und mittelfristige Entwicklung der USA. Sie werden wegweisend sein für vieles, das auch die Schweiz betrifft, etwa die Entwicklung der zweitgrössten Destination für Schweizer Exporteure, Handelsbeschränkungen sowie die Aussenpolitik gegenüber Russland, China und dem Nahen Osten. Können die Demokraten eine oder sogar beide Kammern übernehmen, ist die Paralyse der Politik so gut wie sicher – ähnlich wie während der Obama-Administration ab 2010.»
Roger Köppel (53), Chefredaktor
«Weltwoche»
und SVP-Nationalrat
«Die Wahl ist einerseits eine Art Plebiszit über die Arbeit des Präsidenten und seiner Partei. Aber auch ein Ausdruck der demokratischen Kultur der ‹Checks and Balances›. Die Amerikaner sind ähnlich wie die Schweizer machtskeptisch, sie wollen einen starken Präsidenten, aber sie misstrauen ihm auch. Deshalb verliert meistens die Partei des Amtsinhabers, was die Medien dann als Totalschlappe für Trump aufblasen würden, obwohl es ein normaler Vorgang wäre. Ich bin aber nicht so sicher, ob es einen Rutsch gegen Trump gibt.»
James Foley (51), Sprecher der
Republicans Overseas Schweiz
«Für die Republikanische Partei ist diese Wahl extrem wichtig, weil sie unbedingt ihre Mehrheiten in den beiden Parlamentskammern verteidigen muss. Misslingt dies, geraten sämtliche Pläne der Trump-Administration in Gefahr, von Nominationen an das Oberste Gericht bis hin zu Anpassungen im Steuerrecht.»
Josef Braml (50), USA-Experte der
Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik
und Autor des Buchs
«Trumps Amerika – auf Kosten der Freiheit»
sowie des Blogs
«Der USA-Experte»
«Am 6. November können US-Bürger zwar nicht unmittelbar den Amtsinhaber im Weissen Haus bestätigen oder abwählen. Dennoch können sie im politischen System der ‹checks and balances› über die Kongresswahlen die Politik der Weltmacht und den Handlungsspielraum ihres Präsidenten mitbestimmen.»
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Wagen Sie eine Wahlprognose und was erwarten Sie für die kommenden Präsidentschaftswahlen 2020?
Josef Braml «Der erwartete Verlust der republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus könnte Donald Trump bremsen, ihm allerdings hinsichtlich seiner möglichen Wiederwahl in zwei Jahren auch helfen. Etwa wenn es ihm gelingen würde, sein kostspieliges Infrastrukturprogramm im Schulterschluss mit einigen demokratischen Parlamentariern zu finanzieren.»
Jessica Gienow-Hecht «Die Umfragen zeigen Zustimmungswerte zwischen 40 und 50 Prozent für Trump und die Republikaner. Wer sich heute in den USA als moderat bezeichnet, wird demokratisch wählen. Falls die Republikaner im November signifikant verlieren, werden sie Trump den Laufpass geben wollen und seinen Vize Mike Pence nominieren. Sollten sie gewinnen, bleibt Trump im Amt. Denn die Demokraten sind nicht nur gespalten zwischen Moderaten und Progressiven, sie haben auch keinen echten Kandidaten für 2020.»
James Foley «Bis vor Kurzem dachte ich, dass die Republikaner höchstens eine Fifty-fifty- Chance haben, ihre Mehrheiten zu halten. Aber nach den Anhörungen für den neuen Bundesrichter Brett Kavanaugh haben sich meines Erachtens die Chancen verbessert, weil die Demokraten eine solche Scharade veranstaltet haben mit ihrem Versuch, Kavanaugh zu diskreditieren. Das schreckliche Verhalten der Demokraten, der Hollywood-Eliten und der linken Presse dürfte die republikanische Basis mobilisieren und wie 2016 zum Erfolg führen.»
Walter Niederberger «Die Demokraten werden das Repräsentantenhaus zurückgewinnen, doch dürfte der Senat in republikanischer Hand bleiben. Die politische Blockade nimmt also zu, und die Frustration der Bürger wird wachsen. Die Demokraten wollen mit ihrer neu gewonnenen Mehrheit eine Serie von Untersuchungen gegen Trump einleiten, riskieren jedoch, wenig zu erreichen und Mitte-Wähler abzustossen. Die Republikaner sind mit Trump einen Teufelspakt eingegangen, er hat sie vollständig unter seine Kontrolle gebracht. Sie werden es nicht wagen, 2020 ohne ihn in die Wahlen zu ziehen. Sollte Sonderermittler Robert Mueller strafrechtlich relevante Tatbestände zur Kollusion mit Russland, zur Geldwäscherei oder Justizbehinderung durch Trump aufdecken, wird es prekär für den Präsidenten. Auch eine Rezession dürfte ihn die Wiederwahl kosten.»
Laura Messenger «Prognosen sind heikel, wie wir 2016 gesehen haben, doch werden die Demokraten wohl die Mehrheit im Repräsentantenhaus erobern. Für die Präsidentschaftswahl 2020 sind Voraussagen schwierig, weil so viele Faktoren eine Rolle spielen werden. Aber ich denke, mehr und mehr Amerikanerinnen und Amerikaner realisieren, dass Trump vor allem für diejenigen arbeitet, die sich auf Kosten der normalen Bevölkerung ein möglichst grosses Stück Reichtum sichern wollen.»
Roger Köppel «Für die Midterms kann ich nichts sagen, aber Trump wird sicher wiedergewählt 2020, wenn er nochmals antritt und nicht irgendein riesiger Skandal aufbricht, was man bei ihm ja nie so genau wissen kann. Trump wird in den USA viel stärker geschätzt, als wir dies durch unsere Medien berichtet bekommen. Die meisten Medien sind Partei gegen Trump.»
Martin Naville «Ich gehe wie viele Experten davon aus, dass der Senat wohl in republikanischen Händen bleiben wird. Beim Repräsentantenhaus wird es ganz eng, hier gebe ich den Demokraten eine etwas bessere Chance. Für die Präsidentschaftswahlen 2020 ist ein klare Prognose noch nicht möglich. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass Donald Trump nochmals antritt. Und die Demokraten werden sich bei ihrer Kandidatenauswahl sehr schwer tun, da sie Stand heute keine national bekannte Figur haben, die nicht über 75 ist und/oder links von Che Guevara politisiert.»
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Wie empfinden Sie den Zustand der USA nach knapp 20 Monaten Trump?
Walter Niederberger «Das Image und die Glaubwürdigkeit der USA sind am Boden, aber nicht so stark, dass sie vom nächsten Präsidenten nicht wieder verbessert werden können. Wir haben das bereits bei der Wahl Barack Obamas erlebt, die eine klare Antwort auf die isolationistische Präsidentschaft von George W. Bush war. Ein neuer Präsident könnte die USA innerhalb von nur 30 Tagen zurück ins Pariser Klimaabkommen führen und der Welt so seine Solidarität beweisen.»
Roger Köppel «Um Ex-UBS-Chef Oswald Grübel zu zitieren: ‹Trump ist unausstehlich, aber er macht alles richtig.› Seine Aussenpolitik ist klassisch republikanisch, Peitsche und dann Zuckerbrot. Seine Wirtschaftspolitik ist aus bürgerlicher Sicht hervorragend, Steuersenkungen, Abbau von Regulierungen, kurz: mehr Freiheit für die Bürger und Unternehmen. Trump schützt die Grenzen besser, dämmt die illegale Migration ein, das ist alles sehr gut. Was den Handelskrieg betrifft: Wo es darum geht, illegitime und sogar illegale Praktiken des chinesischen Handelsdumpings zu kontern, ist es gut. Verheerend wäre eine umfassende protektionistische Agenda, damit würde er die USA zerstören. Das aber macht er noch nicht.»
Josef Braml «Präsident Trump hat den Staat im Innern bereits radikal abgebaut und ist nun dabei, die regelbasierte Weltordnung zu zerstören, von der wir in Europa elementar abhängen.»
James Foley «Als US-Wähler, der seit 20 Jahren im Ausland lebt, finde ich, dass es höchste Zeit ist, dass die USA Europa und anderen Weltregionen klarmachen, dass es vorbei ist mit dem Gratisprofitieren.Länder, die sich auf US-Auslandshilfe oder die Nato verlassen, müssen einen grösseren Anteil dieser Kosten selbst übernehmen – das ist aus meiner Sicht überfällig. Das heisst aber nicht, dass die USA ihre Partner in der Welt im Stich lassen, es geht um ‹America First›, nicht ‹America Alone›, wie Präsident Trump es am WEF in Davos auch schon gesagt hat.»
Martin Naville «Es wird zu viel geredet über die üblen Manieren und das exzentrische Verhalten der Person Donald Trump. Dank (oder trotz?) Trump geht es der US-Wirtschaft hervorragend. Und er hat einige Schwachstellen in der internationalen Wirtschaft und Aussenpolitik adressiert, wenn auch teilweise mit einer gewöhnungsbedürftigen Taktik. Im Grunde jedoch tut er nichts anderes, als die Oberhäupter Chinas, Russlands, Englands, Frankreichs oder Deutschlands: Er setzt die Interessen des eigenen Landes an erster Stelle.»
Jessica Gienow-Hecht «Zunächst muss man Trumps völlige Unfähigkeit als Führungspersönlichkeit und Politiker festhalten. Es ist deshalb unklar, wo die präsidiale Entscheidungsmacht derzeit sitzt, sicher nicht bei jemandem, der nachts die Positionen relativiert, die er tagsüber vertreten hat – und dies zu Themen, die er offensichtlich nicht verstanden hat. Klar ist: Die USA, ihre Hegemonie und ihre innere und äussere Glaubwürdigkeit befinden sich seit den 1970er-Jahren (Vietnam, Watergate) in der Krise. Es zeichnet sich ein deutlicher Drang zum Isolationismus ab. Was wir jetzt erleben, ist die Spitze des Eisberges: Das Land ist in Gefahr, und die Welt ist es auch. Hinzu kommt die schwierige Situation der US-Medien, die sich gegenseitig einen Informationskrieg liefern. Was fehlt und wohl nicht mehr möglich ist, ist Politik und Berichterstattung über Parteigrenzen hinweg. Das ist nicht nur an sich problematisch sondern verschliesst zudem wichtige Lösungwege – Dinge sind nicht mehr denkbar, weil sie nicht denkbar sein dürfen.»
Laura Messenger «Auf den ersten Blick scheint in den USA eigentlich alles wie immer. Aber unterhält man sich mit den Menschen, sorgen sich viele wegen der Prioritäten der aktuellen Regierung: die Steuererleichterung, die vor allem den Reichsten zugute kommt; die Schwächung der Umweltschutzmassnahmen trotz der wachsenden Gefahren durch den Klimawandel; den fortgesetzten Kampf gegen die Krankenversicherung. Viele haben den Eindruck, dass ihre Stimmen ignoriert werden. Es bekümmert mich auch, auf welches tiefe Niveau die Sprache der Diplomatie gesunken ist. Unser Präsident verlangt Respekt – ich wünschte, er würde unseren Partnern in der Welt dieselbe Höflichkeit entgegenbringen.»
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Was müsste aus Ihrer Sicht passieren, um die Situation nachhaltig zu verbessern?
Walter Niederberger «Das Wahlsystem ist noch immer auf die agrarische Gesellschaft des 18. Jahrhunderts zugeschnitten, es reflektiert nicht mehr länger den Willen des Volks. Auch dass Parlamentarier die Wahlkreise auf ihre Bedürfnisse zuschneiden können und somit ihre Wähler wählen, zeigt die Schwäche der US-Demokratie. Ich glaube aber nicht, dass das Parlament und das Bundesgericht zu echten Reformen Hand bieten. Hingegen könnten einzelne progressive Bundesstaaten die demokratischen Mitwirkungsrechte stärken. Wahrscheinlich braucht es eine noch grössere Krise, bevor das Land zur Besinnung kommt.»
Martin Naville «Einige ‹Kampfzonen› werden sich wahrscheinlich schnell beruhigen, vor allem das Wirtschaftsverhältnis der USA zu Kanada, Mexiko und der EU. Andere Themen werden uns wohl noch länger begleiten, etwa das Verhalten gegenüber China, das die liberale Wirtschaftsordnung des Westens auskostet, im eigenen Land aber massive Einschränkungen bis hin zu Embargos für ausländische Firmen durchsetzt. Wieso darf Chem China die Schweizer Firma Syngenta kaufen, Syngenta aber niemals Chem China? Wieso darf Alibaba in Europa und den USA ihre Dienste anbieten, während Google aus China ausgesprerrt ist?»
Laura Messenger «Wir müssen unsere Bürgerpflichten ernster nehmen. Damit es Fortschritte gibt, müssen Menschen jeden Alters – inklusive unserer Jugend – sich informieren und aktiv engagieren. Es muss ihnen wichtig sein, was die Regierung macht, und sie müssen an Wahlen teilnehmen. Apathie und Selbstzufriedenheit waren in den USA immer wieder ein Problem, aber die aktuelle Regierung hat viele Menschen politisch aktiviert, was grossartig ist. Ich hoffe, dass dies anhält, denn es gibt viel zu tun, um den Schaden zu beheben, den diese Administration angerichtet hat.»
James Foley «Im US-Zweiparteiensystem ist das Risiko hoch, dass eine Partei die Pläne der anderen blockiert, wenn keine Kooperationsbereitschaft vorhanden ist. Seit der Wahl von Donald Trump verweigern die Demokraten sämtliche Kooperation mit den Republikanern, egal zu welchem Thema. Hauptsache, sie können Trumps Agenda stoppen. Die ‹Fake-News-Presse› unterstützt dies weitgehend, obwohl die Demokraten immer weiter nach links rutschen. Was es fast unmöglich macht, Kompromisse bei republikanischen Gesetzesvorschlägen zu finden. Das bringt die Nation wirtschaftlich in eine schwierige Lage, denn sie ist hoch verschuldet und muss dringend ihre Sozialsysteme reformieren, wenn sie auch künftig zahlungsfähig bleiben will. Dafür jedoch braucht es Kooperation.»
Jessica Gienow-Hecht «Die jetzige Führungsriege in den USA muss durch Abwahl, einen Prozess oder ein Misstrauensvotum abgesetzt werden. Eine neue Führung, die sich liberalen Prinzipien verschreibt, muss neue politische, soziale und wirtschaftliche Ziele formulieren und realisieren – vor allem auch Vertrauen in ‹den Staat› wiederherstellen. Stichworte: Internationalismus, Klimaschutz, Umweltschutz, Lastenausgleich, Umverteilung, Wohlfahrt, Sicherheit. Vor allem muss eine Atmosphäre des offenen und problemorientierten Austausches ins Zentrum der Politik rücken.»
Roger Köppel «Die Demokraten müssten wegkommen von ihrer hysterischen Fundamentalopposition gegen einen gewählten Präsidenten. Aber auch dies ist wohl Ausdruck der starken US-Demokratie: Starke Präsidenten wecken starke Gegenkräfte. Man möchte eben nicht, dass einer durchregiert. Gut so.»
Josef Braml «Eine neue progressive Bewegung wäre nötiger denn je. Denn es gibt in den USA einmal mehr eine Konzentration wirtschaftlicher und politischer Macht, die das Funktionieren von Marktwettbewerb und Demokratie gefährdet – heute vor allem in den Bereichen der Finanzdienstleistungen, Öl/Gas-, Rüstungs- und IT-Industrie.»
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Werden sich die vielen Differenzen zwischen den USA und Europa wieder legen, wenn Trump abtritt?
James Foley «Aus meiner Sicht wirken diese Differenzen zwischen den USA und Europa deshalb so dramatisch, weil die Machteliten und die Presse uns diesen Eindruck vermitteln wollen. Der eigentliche Punkt ist doch, dass Europa langsam aufwacht und die vielen falschen Versprechungen der Europäischen Union erkennt. Das Ergebnis ist ein gespaltenes Europa, in dem immer mehr Menschen nationalistischere Standpunkte vertreten und Oppositionsparteien unterstützen. Die Regierungen dieser Länder (und die ‹Fake-News-Medien›, die für sie arbeiten) tun alle so, als wäre nichts, aber die Wahlen zeigen ein anderes Bild: Der BrexitEntscheid und die Trump-Wahl haben eine populistische Revolution in Europa und den USA gestartet, die nicht leicht zu unterdrücken sein wird.»
Jessica Gienow-Hecht «Die westliche Welt ist in einer Krise, weil sie kein Wirtschaftswachstum mehr garantieren kann, weil die Lücke zwischen Arm und Reich breiter wird und weil sich die Langzeitfolgen der Industrialisierung deutlich zeigen. Auch ohne Trump bleiben diese Probleme bestehen. Das Klima in den europäisch-amerikanischenBeziehungen ist derzeit sehr aufgeheizt durch seine vordergründigen Provokationen. Langfristig jedoch gibt es trotz aller Differenzen für die USA und Europa keine verlässlicheren Partner, als sie es füreinander sind. Aber die USA sind ebenso gespalten wie viele europäische Demokratien. Überall sehen wir, dass den Liberalen die Argumente ausgehen und die alten Wähler sich neue Führer suchen.»
Martin Naville «Je nachdem, wer Nachfolger wird, dürfte sich der Ton mit grosser Sicherheit ändern. Aber in der Sache müssen wir uns wohl daran gewöhnen, dass die USA wieder isolationistischer werden. Dies hat schon unter Barack Obama begonnen und setzt sich nun unter Trump fort. Dessen Wahl ist wohl eher ein Symptom von grösserem Isolationismus, nicht der Grund dafür.»
Walter Niederberger «Die persönlichen und moralischen Schwächen von Trump machen es allzu leicht, die USA als das grösste Problem zu sehen. Trump ist aber nur ein Symptom, wenn auch ein besonders groteskes, für die gefährliche Schwächung der demokratischen Strukturen im Westen, während China seine Machtposition im Osten aufbaut. Ich bin weniger um die USA besorgt, als um Europa, und frage mich, ob sich Europa wirklich als dritte, starke Kraft zwischen den USA und China etablieren kann.»
Roger Köppel «Es gibt fundamentale Interessenkonflikte zwischen Europa und den USA. Der wichtigste betrifft den Umgang mit Russland. Die Amerikaner wollen Konfrontation, die Europäer haben ein intensives wirtschaftliches Interesse an Russland. Interessanterweise gehört Trump, obwohl Republikaner, nicht zu den Russland-Falken. Was aus europäischer Sicht gut ist. Darüber hinaus profitiert Europa von einem wirtschaftlich starken Amerika. Die verkrustete EU kommt unter Reformdruck, wenn in Washington kein Etatist wie Obama, sondern ein liberalkonservativer Aufmisch-Politiker wie Trump sitzt.»
Josef Braml «Wir sollten uns nicht dem Wunschdenken hingeben, dass dieser Spuk schnell vorbei ist und wir diese Krise aussitzen können. Donald Trump ist nur ein Symptom grundlegender sozioökonomischer und politischer Verwerfungen in den USA, die sich auch nach seiner Amtszeit auf Europa und die Welt auswirken werden. Es ist das Gebot der Stunde, Europa im härter werdenden globalen geopolitischen Wettbewerb besser aufzustellen. Ein europäischer Finanzminister, regelbasierter Finanzausgleich, eine gemeinsame Arbeitslosen und Einlagenversicherung, Bankenunion sowie ein Währungsfonds wären konsequente nächste Schritte.»
Laura Messenger «International wird es sich wohl erst bessern, wenn die USA wieder in einem diplomatischeren Ton kommunizieren. Aber letztlich haben sich die normalen Amerikaner nicht verändert – sie wollen, was alle wollen: Frieden, Wohlstand und die Möglichkeit, unsere Leben so zu leben wie es sich richtig anfühlt.»
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