Musik macht Laune
Musik übergeht den Verstand – sie geht direkt ans Herz, ins Stammhirn, ins Mark, sie regt an oder beruhigt. Diese Wirkung nutzen Therapeuten, um Patienten mit unterschiedlichen Erkrankungen zu helfen.

Musik lässt kaum jemanden kalt. Sie beschwingt oder macht traurig, und manchmal nervt sie. Musik weckt Gefühle und Erinnerungen, und je nachdem macht sie dem Einzelnen gute oder schlechte Laune. «Wenn die Musik der Liebe Nahrung ist, spielt weiter», bittet der liebeskranke Herzog von Orsino seine Hofmusikanten in Shakespeares Komödie «Was ihr wollt», und verordnet sich damit sozusagen selbst eine Musiktherapie.
Musiktherapie ist heute eine psychotherapeutische Disziplin, die auf die Wiederherstellung der geistigen und körperlichen Gesundheit durch Hören von Musik oder aktives Musizieren zielt.
Längst haben sich neben Psychologen und Psychiatern auch die Hirnforscher des Themas angenommen. Es sind neue Forschungsgebiete wie die biomedizinische Musikforschung entstanden, und fortlaufend gibt es erstaunliche und ermutigende Erkenntnisse für jede menschliche Lebensphase.
Die häufigsten Krankheitsbilder, bei denen Musiktherapie angewendet wird, sind Depressionen und Psychosen, aber auch Rehabilitationsprogramme von Schlaganfallpatienten oder Paraplegikern setzen darauf. Man hat herausgefunden, dass Schlaganfallpatienten sich schneller erholen und ihr Sprachgedächtnis sich deutlich verbessert, wenn sie täglich zwei Stunden ihre Lieblingsmusik hören. Und bei Alzheimerpatienten hat Musikhören und Singen von vertrauten Liedern eine positive Wirkung auf die Wahrnehmung und das Erinnerungsvermögen.
Auch ohne eine spezielle Diagnose hat Musik einen so hohen Stellenwert, dass man sich ein Leben ohne sie gar nicht mehr vorstellen kann. Musik wirkt im Gehirn ähnlich wie eine Droge. Beim Hören der Lieblingsmusik wird der Botenstoff Dopamin im Belohnungszentrum des Gehirns ausgeschüttet, und der sorgt für ein angenehmes, wohliges Gefühl. Das erklärt, warum Musik für fast jeden Menschen, unabhängig von seiner Herkunft, so wichtig ist. Musik wird in allen Kulturkreisen gleich interpretiert, was auf angeborene emotionale Lautmuster zurückgeführt wird, die offenbar bei allen Menschen gleich sind. Angehörige eines afrikanischen Stammes, denen nie gehörte westliche Musik vorgespielt wurde, konnten auf Anhieb traurige, fröhliche oder bedrohliche Stimmungen in den einzelnen Musikstücken unterscheiden.
Ein Ergebnis, das auch verdeutlicht, wie man unabhängig vom persönlichen Geschmack durch den gezielten Einsatz von Musik ein Publikum manipulieren kann. Die Duschszene in Hitchcocks «Psycho» wäre nur halb so schaurig ohne die dissonanten Klänge. Beunruhigend ist die Musik wegen ihrer abrupten Tonfolgen, die offenbar Tierlauten ähneln und Urängste in uns wecken.
Der Herzschlag koppelt sich an den Rhythmus eines Liedes
Neben all diesen Aspekten trägt Musik zur physischen Gesundheit bei: Herzschlag, Blutdruck und Atemfrequenz sind abhängig vom Rhythmus und der Geschwindigkeit eines Liedes und haben so einen Einfluss auf den Kreislauf. Schnelle Musik regt an, langsamere wirkt beruhigend — eine Binsenweisheit von medizinischer Bedeutung.
Musikhören kann Patienten mit Herzkrankheiten helfen, weil sich der Herzschlag an den Rhythmus koppelt. Auch Gesang wirkt. Wenn Eltern ihrem Frühgeborenen Lieder vorsingen, schläft es tiefer und darf früher aus dem Brutkasten. Selbst Sänger haben einen Vorteil: 60 Minuten herzhaftes Singen hat einen messbaren positiven Effekt auf das Immunsystem, wie eine Pilotstudie der Universität Frankfurt ergab.
Musik kann also fast alles. Sie macht sogar schneller betrunken, denn wenn es in einer Beiz lauter dröhnt als sonst, werden die Gläser eiliger geleert. Aber was kann Musik nicht? Auch darüber gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse: Wer einmal komplett abschalten will, für den ist eine Weile Stille immer noch die erste Wahl.
DAS SAGT DIE EXPERTIN
Sandra Lutz Hochreutener (56) ist studierte Musik- und Psychotherapeutin mit Praxis in Gais AR.
Singen hat eine vitalisierende Wirkung, die wach macht und sich zentrieren hilft.
Autor: Sabine Müller