Ein Jugo im Haus

Es beginnt mit einem Familienkrach. «S chunnt nid i Frag, dass du üs e Jugo i ds Hus bringsch!», tobt der Vater. Auch die Mutter ist ausser sich. Dabei wollte ihre Tochter Léonie voller Freude von ihrer ersten grossen Liebe berichten: von Granit, ihrem albanischen Freund. Doch die Eltern finden, es gehe nicht an, dass ein Schweizer Mädchen aus gutbürgerlichem Haus «so einen» heimbringe.
Eine neunte Klasse, irgendwo in der Schweiz, probt für ihr Abschlusstheater. Sie hat das Stück selber erarbeitet, hat diskutiert, notiert und ausprobiert, hat erwogen, verworfen und schliesslich geprobt, geprobt, geprobt. Bei einer der Proben durfte ich dabei sein. Ein Schülertheater, werden Sie denken, na und? Nichts Besonderes. Diese Klasse aber ist besonders: Nur 5 von 20 Schülerinnen und Schülern sind gebürtige Schweizer, die jungen Menschen aller Hautfarben und Religionen stammen aus 15 verschiedenen Nationen. Ihr Klassenlehrer? Trägt an diesem Morgen eine Trainingsjacke des schwedischen Nationalteams, auch er nur «halber» Schweizer.

Kein Schulhaus wie jedes andere. Das Quartier gilt als prekär, die Schülerschaft wird als bildungsfern und schwierig eingestuft, die Rede vom «Ghetto» geht um. Und nun parodiert diese Schulklasse in einer Wonne Schweizer und sogenannte Jugos in Alltagssituationen: beim Autokauf, wo Jürg und Christoph besonders auf den Skiträger achten, Kushtrim und Arlind auf den Tacho; am Spielfeldrand, wo die einen brav und die anderen temperamentvoll sind; beim Aufriss in der Disco, wo die einen ungelenk vorgehen, die anderen machohaft. Das Stück ist richtig gut! «Cervelat oder Ćevapčići?», fragt es im Titel. Und gibt die Antwort gleich selbst: «So egal!» Eine wunderbare Parabel über gegenseitige Vorurteile und vorschnelle Verunglimpfung.
Dies sei verraten: Es kommt zu einem guten Schluss. Léonie darf ihren Granit in die Arme schliessen, und beim gemeinsamen Grillplausch der Familien stellt sich heraus, dass die «Ausländer» gar nicht so ausländisch sind und der Schweizer Vater gar nicht so bünzlig ist. Nicht alles, was «die Rechtspartei» sage, sei falsch, meint der Vater des jung verliebten Granit. Léonies Vater hingegen findet, ihm gehe deren Hetze in letzter Zeit zu weit.
Grossartig, das Theater in der kleinen Vorstadt-Aula. Man möchte es all denen zeigen, die dauernd mit wüster Drohgebärde vom angeblichen Ausländerproblem reden. Und euch, liebe 9a, möchte ich zurufen: Geht raus, gebt alles, und habt Spass! Raus auf die Bühne – und danach raus ins Leben. Woher auch immer ihr stammt: Ihr seid cool, ihr habt mich sehr beeindruckt.
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Autor: Bänz Friedli
Fotograf: Bänz Friedli