Abschied ist doch gar nicht so schwer!
Kinder haben viel Spass im Hort oder im Kindergarten. Trotzdem fliessen oft die Tränen, wenn sie sich am Morgen von den Eltern verabschieden müssen. Tipps, wie der Abschied leichter fällt.

Lenny ist vier Jahre alt, drei Mal pro Woche geht er in die Krippe. Er geht gern, hat gute Gschpänli und fühlt sich wohl. Und doch gibt es immer wieder Krisen. «Oft ist es nach den Ferien besonders schwierig, wenn man im Alltag wieder Tritt fassen muss», sagt Mami Simone Reich (41).
Nach den letzten Ferien war es besonders hart. «Jeden Morgen nach dem Aufwachen hat er geheult und sich dagegen gesträubt, in die Krippe zu gehen. Er wollte einfach nicht weg von mir.» Zu Hause zu bleiben, lag aber nicht drin: Simone arbeitet an drei Tagen im Büro, ihr Mann Sascha hat eine Vollzeitstelle.
Für solche Situationen hat die Zürcherin vor allem ein Rezept: «Ich mache das, was ich jeden Morgen mache – unser Ritual: Ich lese ihm im Bett eine Geschichte vor, lege ihm die Kleider, die er anziehen muss, wie eine Figur auf den Boden, und wir putzen nach dem Frühstück zusammen die Zähne.» Sie ist überzeugt: «Rituale erleichtern den Alltag und helfen mit, schwierige Phasen zu meistern. Sie geben dem Kind Sicherheit, es kann sich an den Fixpunkten im Ablauf festhalten.»
Zudem redet sie ihm gut zu: «Ich erinnere ihn daran, wie lässig er die Krippe findet, dass er seine Gschpänli trifft, mit ihnen spielen kann und die Baggerecke hat, die es zu Hause nicht gibt», sagt Simone. «Es ist eine Welt, die er nur für sich hat und die ihm gefällt.»
Den Abschied möglichst kurz halten
Manchmal aber nützen alle Rituale und alles Zureden nichts. Ihr Sohn fängt in der Krippe an zu weinen, wenn sie sich verabschieden will. «Das Kind zu verlassen, wenn es weint, ist etwas vom Schlimmsten», sagt Simone Reich. In diesem Moment gibt es nur eines: den Abschied möglichst kurz zu halten, auch wenn das hart ist. «Das Kind trösten zu wollen, macht das Ganze nur schlimmer. Ich muss ihn von der Abschiedsszene erlösen, damit er neu einfädeln kann. Er schafft es nämlich schon!»
So sehr Lennys Heulen sie schmerzt, so gut weiss sie, wie schnell das vorbeigeht: «Sobald ich weg bin, erholt er sich innerhalb weniger Minuten und spielt mit seinen Freunden. Am Abend ist er happy und hat einen guten Tag gehabt.» Weint er, nimmt ihn eine der Betreuerinnen auf den Arm. Simone schleicht auch nie davon, sondern verabschiedet sich mit einem Küssli. Sie tut damit genau das Richtige. Am Morgen genug Zeit einplanen. Dies empfehlen nämlich auch die Profis.

Eltern- und Erwachsenenbildnerin Marlies Bieri (59), die in Uettligen BE die Beratungsstelle «ElternLehre» führt, kennt das Problem der Krippen-, Hort- und Kindergartenkrisen nur allzu gut (siehe Interview unten). Sie sagt: «Man sollte den Abschied kurz und klar halten, sich aber auch nicht davonschleichen.» Sie betont, dass man am Morgen grundsätzlich genug Zeit einplanen soll, damit man nicht in Stress kommt, was eine zusätzliche Belastung für Kind und Mutter ist.
Der Moment des Abschieds ist viel eher für Mütter als für Väter ein Knackpunkt. «Oft sind es die Mütter, die Schwierigkeiten mit dem Ablösen und unbewusst das Gefühl haben: Nun gebe ich das Kind schon wieder ab!», sagt sie. Und meint: «Die Frauen sollten sich stärker bewusst werden, dass Hort und Kindergarten eine Fülle von Anregungen bieten und wertvolle soziale Erfahrungen beinhalten.» Es gibt auch Tricks, wie man diese Augenblicke schmerzfreier gestalten kann. Was hilft, sind Abschiedsrituale. Das können etwa Zaubersteine, ein gezeichneter Smiley, eine gemalte Sonne auf der Innenseite des Handgelenks oder ein lustiges Winken mit der Zehe sein.
Ebenso wichtig ist es, dem Kind grundsätzlich gut zuzureden, Geduld zu haben und nicht sofort aufzugeben. Wenn man als Eltern an der Institution Krippe zu zweifeln beginnt, hat man oft schon verloren. «In schwierigen Momenten will ich unbedingt eine klare Ansage machen», sagt Simone Reich. «Denn Kinder spüren gut, wenn die Eltern unsicher sind.»
Bei Silvia Gerber (39) gab es Probleme, als ihre Tochter Emely (5) in den Kindergarten kam. «Sie jammerte und weinte jeden Tag und wollte nicht in den Kindergarten gehen.» Das war aber keine Option: Silvia arbeitet 70 Prozent, ihr Partner 90. «Ich redete ihr gut zu und musste mir am Morgen etwas mehr Zeit nehmen.»
Dem Kind etwas zutrauen
Manchmal half es, wenn Papi sie in den Hort brachte oder von dort wieder abholte. «Warum das nützte, wissen wir nicht», sagt die Bernerin lachend. Sie fanden bald heraus, was ihrem Töchterchen so Mühe bereitete – sie musste einen zweiten Abschiedsschmerz verarbeiten: Emely glaubte, dass die Erzieherinnen des Horts ebenfalls mit in den Kindergarten kommen würden. «Im Kindsgi war alles neu. Sie brauchte einfach länger, um sich einzugewöhnen», sagt Silvia. «Ich war überzeugt, dass sich das geben wird. Was ich aber sicher noch hätte besser machen können, wäre das schnelle, zackige Abschiednehmen. Ich bin immer etwas zu fürsorglich.»
Ob der Neuanfang nach den Ferien oder der Neustart an einem neuen Ort – nicht allen Kindern fällt dies leicht. «Solche Übergänge bedeuten eine grosse Herausforderung fürs Kind», erklärt Eltern- und Erwachsenenbildnerin Marlies Bieri. «Abläufe kennenzulernen und neue Regeln einzuhalten ist anstrengend. Manche Kinder haben Mühe damit.» Aber sobald das Kind sich damit vertraut gemacht hat, lernt es schnell, dass es Spass macht, aktiv zu sein und Aufgaben zu meistern. Und es hat Erfolgserlebnisse.
Stecken ernsthafte, tiefgreifende Probleme hinter der Unlust, in den Hort oder Kindergarten zu gehen, hilft ein Gespräch mit den Betreuerinnen. So oder so heisst es für die Eltern: Geduld üben, gut zureden, dem Kind etwas zutrauen und sich mit dem eigenen Schmerz des Loslassens auseinandersetzen.
Experteninterview
«Die Unlust hat immer einen Grund»

Mit dem richtigen Verhalten der Eltern und des Hortpersonals lassen sich Widerstände des Kindes gegen die Betreuung abbauen. Fachfrau Marlies Bieri gibt Tipps.
Autor: Claudia Langenegger
Fotograf: Vera Hartmann